WAS IST DIE NATIONALE FRAGE AUF DER KRIM?
I. DIE NATIONALITÄTEN AUF DER KRIM
1 DIE UKRAINER
2 DIE RUSSEN
3 DIE KRIMTATAREN
4 DIE KRIMDEUTSCHEN
Wiedergeburt und
Landsmannschaft
Der Fall Gödeking
II. DIE KRIM UND ZWEI RUSSISCH-UKRAINISCHE
BEZIEHUNGEN
1 MOSKAU KIEW
2 SIMFEROPOL KIEW
III. MISSIONEN AUF DER KRIM
1 DIE UN-MISSION
Das CIDP
Das UNHCR
2 DIE OSZE - MISSION
Die Krim - eine der bezauberndsten Landschaften Osteuropas und einer der
gefährlichsten Konfliktherde. Die Bezeichnungen reichen vom "Kronjuwel"
bis zum "nächsten Bosnien". Kaum ein Mensch in Westeuropa interessiert
sich heute für die Halbinsel, und doch tauchen Assoziationen auf, bei
Begriffen wie Krimkrieg, Jaltaer Abkommen 1945 oder Willi Brandt auf Motorboot.
Die Schlagzeilen beherrschen die Ereignisse in Tschetschenien und Moskau,
nur gelegentlich dringt einmal ein Nachrichtenfetzen über irgendeine
Schwarzmeerflotte an unser Ohr.
Auch ich wußte praktisch nichts über die gegenwärtige Situation
auf der Krim. Gehört zur Ukraine. - Aha. - 2/3 Russen, Hauptstadt
Simferopol. - O.K.. - Heimat der Krimtataren. - Nie von gehört.
Und so fuhr ich hin, mehrere Tausend Kilometer mit Bus und Bahn. Es wurde
eine harte Reise, aber eine lehrreiche. Ich hatte große Probleme, in
den knapp sechs Wochen ausreichende Informationen für diese Studienarbeit
zu sammeln - mit mangelnden Russisch-Kenntnissen, kaum Vor-Informationen
und wenig Möglichkeiten, Darstellungen meiner Gesprächspartner
nachzuprüfen.
Nichtsdestotrotz möchte ich Sie, den Leser, mit dieser Arbeit über
die Nationale Frage auf der Krim informieren. Ich habe keinen Wert auf epische
Breite gelegt, sondern versuche so knapp wie möglich die relevanten
und interessanten Informationen wiederzugeben.
Viel Spaß beim Lesen!
Was ist die Nationale Frage auf der
Krim?
Ursprünglich nur als Arbeitstitel gedacht, lassen sich mit der Nationalen
Frage auf der Krim doch die zwei wichtigsten Aspekte der gegenwärtigen
Vorgänge auf und Diskussionen um die Halbinsel am besten umreißen.
Da ist zum einen die Frage nach den verschiedenen Nationalitäten und
ihrem Zusammenspiel. Und zum anderen stellt sich nach dem Zerfall der Sowjetunion
die Frage nach der Zugehörigkeit der Krim zu einem der neuen alten
Nationalstaaten Osteuropas.
Beide Aspekte lassen sich natürlich nicht klar voneinander abgrenzen,
auch wenn ich das zur besseren Übersicht versucht habe. Und so werden
Entwicklungen auf der Krim auch immer die gesamte Region beeinflussen, ein
weiterer Grund für die Erstellung dieser
Studienarbeit.
I. Die Nationalitäten auf der
Krim
Wenn man die Nationale Frage auf der Krim beantworten will, muß man
vor allem das Verhältnis der verschiedenen Nationalitäten auf der
Halbinsel zueinander beleuchten. Dabei spielen Russen, Ukrainer und Krimtataren
sowohl heute, als auch im geschichtlichen Zusammenhang die wichtigste Rolle.
Doch die Krim war und bleibt ein Schmelztiegel der Kulturen, und so leben
heute unter anderem Aserbaidschaner, Weißrussen, Juden, Georgier, Karaimen,
Krimtschiki, Italiener, Tschechen, Polen, Armenier, Bulgaren, Griechen und
Deutsche dort.
Die vier letztgenannten durchlebten wie die Tataren das Trauma der Deportation.
Trotz der wirtschaftlichen Notlage versuchen die Regierungen in Kiew und
Simferopol den Rückkehrwilligen beim Neuanfang zu helfen. Auch wird
ihnen ein Mitspracherecht in ihrer alten Heimat eingeräumt - die vier
deportierten Völker stellen je einen, die Tataren sogar 14 der 96
Abgeordneten des Krim-Parlaments.
Im folgenden werde ich versuchen, die Positionen deutlich zu machen, die
hinter dem gegenwärtigen Pokerspiel der drei Hauptkontrahenten auf der
und um die Krim stehen. Desweiteren werfe ich stellvertretend für die
vielen anderen kleinen Nationalitäten einen Blick auf die Situation
der deutschen Minderheit auf der Krim.
Die Ukrainer müssen am weitesten in der Geschichte zurückgehen,
um ihren Anspruch auf die Krim zu untermauern. Anhand uralter Erzählungen
und Chroniken glauben sie, die Wurzeln des unabhängigen ukrainischen
Staates vom 10. bis 12. Jahrhundert auf der Krim finden zu können.
Natürlich verweisen sie auch auf den Transfer der Krim von Rußland
zur Ukraine im Jahr 1954, über den damals auf allen Seiten Einigkeit
bestand. Nach diesem Ereignis siedelten sich verstärkt Ukrainer auf
der Halbinsel an, aber viele wurden zwangsweise vom Sowjet-Regime dorthin
transportiert.
Heute finden sich die Krim-Ukrainer als Minderheit im eigenen Land wieder,
denn obwohl die Krim zur Ukraine gehört, stellt diese
Bevölkerungsgruppe nur 25 Prozent der Bewohner. Das öffentliche
Leben ist weitestgehend russisch dominiert, und so bezeichnet selbst die
Hälfte der Krim-Ukrainer Russisch als ihre Muttersprache. In Simferopol
sprechen 9 von 10 Ukrainern vor allem Russisch.
Anti-russische Vorurteile sind unter den Ukrainern auf der Krim weniger
verbreitet als im Rest des Landes. Und so haben nationalistische ukrainische
Organisationen keine Chance. Selbst gemäßigte ukrainische Parteien
finden sich nicht im Krim-Parlament wieder, da sie faktisch nicht an der
Wahl 1994 teilnahmen.
Die Krim-Ukrainer sind im allgemeinen mit der jetzigen Situation der
Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine zufrieden und sehen daher keine
Notwendigkeit zu einer verstärkten politischen Aktivität. Sie
überlassen im Großen und Ganzen der Regierung in Kiew die Wahrnehmung
ukrainischer Interessen auf der Krim.
Insofern deutet erfreulicherweise vieles darauf hin, daß es trotz der
Spannungen zwischen Kiew und Moskau und Kiew und Simferopol auf längere
Sicht nicht zu Auseinandersetzungen zwischen Russen und Ukrainern auf der
Krim selbst kommen wird. Allerdings muß beachtet werden, daß
diese optimistische Aussicht vor allem auf der starken Russifizierung der
Krim-Ukrainer beruht.
Viele Russen sind weniger zufrieden mit der gegenwärtigen
Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine als ihre ukrainischen Nachbarn. Sie
betrachten die Krim als russisches Territorium.
Nach dem russischen Sieg über die Türkei im Jahr 1772 und dem kurzen
Einsatz eines pro-russischen Khanes annektierte Zarin Katharina die Große
die Krim 1783. Diese Gebietserweiterung hatte und hat große, vor allem
symbolische Bedeutung für Rußland, sicherte sie doch den Zugang
zum Schwarzen Meer und darüber hinaus.
Mit dem Jahr 1783 begann die russische Besiedlung der Krim. Ihren Höhepunkt
erreichte sie nach dem 2. Weltkrieg, als nur noch etwa 200.000 Menschen auf
der Krim lebten. Es folgte eine von der Sowjet-Regierung geförderte
Masseneinwanderung, so daß heute etwa zwei Drittel der 2,7 Mio.
Krim-Bewohner Russen sind.
1954 wurde die Krim von der Russischen an die Ukrainische Sowjet-Republik
übergeben. Dies hatte vor allem ökonomische Gründe
die Halbinsel bezieht ihren Strom, ihr Wasser und viele Rohstoffe aus der
Ukraine. Für die Bewohner änderte sich dadurch nichts, sie blieben
Sowjet-Bürger.
Mit der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 sahen sich viele Krimrussen
plötzlich von Rußland abgeschnitten. Nach und nach verloren sie
die Rolle eines Herrenvolks, die sie in der SU innehatten. Daher organisierten
sich bald politische Kräfte, die einen Anschluß an Rußland
oder zumindest eine Loslösung von der Ukraine forderten.
Diese widersetzte sich solchen Bestrebungen erfolgreich. Es begann eine
große Zersplitterung der pro-russischen Bewegung auf der Krim, deren
Führer heute realistischerweise keine schnelle Eingliederung nach
Rußland mehr fordern.
Doch in der russischen Bevölkerung der Krim sorgt die zunehmende
Ukrainisierung großer Bereiche des öffentlichen Lebens und die
wiederholte Abschaltung des russischen Fernsehens durch Kiew für Unmut.
Auch die sich weiter verschlechternde wirtschaftliche Lage in der Ukraine
trägt dazu bei, daß viele Krimrussen weiterhin einen Anschluß
an Rußland fordern.
Aber es gibt auch viele gemäßigte Stimmen, die sich mit der
gegenwärtigen Lage abgefunden haben. Dazu kommt noch die allgemein
verbreitete politische Apathie, so daß ein Erstarken militanter
nationalistisch-russischer Kräfte in naher Zukunft nicht zu erwarten
ist.
Neben den Russen sind die Krimtataren die politisch aktivste Nationalität
auf der Krim. Dieses Volk bildete sich im Laufe der Jahrhunderte aus Mongolen,
Griechen, Turk-Völkern und anderen Einflüssen heraus. Seine Religion
ist der Islam und die Sprache ähnelt dem Türkischen. Die Krimtataren
regierten die Krim von 1239 bis 1783, wenn auch in Abhängigkeit vom
Osmanischen Reich ab 1475.
Nach der russischen Eroberung der Krim begann eine Zeit der Emigration und
Deportation die Zahl der Krimtataren sank von 500.000 (1783) auf 100.000
(1860, Gesamtbevölkerung nur noch 194.000). Die Emigration führte
zur Bildung von großen krimtatarischen Gemeinden in der Türkei
(etwa 5 Mio. Krimtataren leben heute dort), Rumänien (1 Mio.), Bulgarien
(500.000) und kleineren in den USA und Deutschland.
In den Wirren der Revolutionsjahre 1917 und 1918 waren die Krimtataren noch
einmal in der Lage, eine Regierung auf der Krim zu installieren ein
wichtiger Bezugspunkt für ihre heutigen Führer.
Unter Diktator Josef Stalin erlebten sie von 1923 bis 1928 eine Bevorzugung,
nur um sich in dem darauffolgenden Jahrzehnt mit der Auslöschung und
der Deportation ihrer Intelligenz konfrontiert zu sehen. Durch diese Verbrechen
und erneute Emigration verringerte sich die Zahl der Tataren auf der Krim
wiederum um 100.000 bis 200.000.
Schließlich verübte Stalin das ultimative Verbrechen an den
Krimtataren. Am 18. Mai 1944, sechs Tage nach dem Abzug der deutschen Besatzer
von der Krim, ließ er alle verbliebenen Krimtataren zwischen
200.000 und 250.000 Menschen zusammentreiben. Aufgrund angeblicher
Kollaboration mit den Deutschen wurden sie gemeinsam mit etwa 20.000
Griechen, 20.000 Armeniern und 17.000 Bulgaren in Viehwaggons geladen
und nach Zentralasien, vornehmlich Usbekistan, deportiert.
Nach zwei Tagen lebten unter den nur noch etwa 200.000 Krim-Bewohnern keine
Angehörigen dieses Volkes mehr. Auf der Halbinsel wurden viele Spuren
ihrer Kulturen beseitigt, Denkmäler und Monumente verschwanden, Orte
wurden umbenannt. Die Deportierten erhielten auf ihrer zweiwöchigen
qualvollen Reise oft weder Wasser noch Essen. Die Hälfte überlebte
diese Tortur sowie die ersten zwei Jahre danach.
Im Gegensatz zu vielen anderen deportierten Völkern wurden die Krimtataren
zu Sowjetzeiten nie vollständig rehabilitiert. Chruschtschow erwähnte
sie 1956 in seiner berühmten Geheimen Rede, mit der er den Tschetschenen,
Inguschen und anderen Nationen die Rückkehr in ihre Heimat erlaubte,
nicht.
Daraufhin organisierte sich eine aktive nationale Bewegung der Krimtataren.
Mit Petitionen, Unterschriftensammlungen und Demonstrationen versuchten sie,
eine Rückkehr in ihre Heimat durchzusetzen sowie Öffentlichkeit
herzustellen. Viele sowjetische Dissidenten wie z.B. Pjotr Grigorenko und
Andrej Saccharow griffen ihr Beispiel als eklatanten Fall von
Menschenrechtsverletzungen in der SU auf.
Schließlich sprach die Staatsführung die Krimtataren 1967 vom
Vorwurf der Kollaboration mit den Deutschen frei. Offiziell wurde ihnen sogar
die Rückkehr auf die Krim erlaubt. Doch gleichzeitig wurden
bürokratische Hindernisse in den Weg in die Heimat gestellt -- die
Krimtataren erhielten keine Aufenthaltsgenehmigungen, eine Rückkehr
war weiterhin unmöglich.
Erst im November 1989, im Zuge von Gorbatschows Perestroika, verurteilte
der Oberste Sowjet der SU die Deportation und erlaubte den Krimtataren die
organisierte Rückkehr. Die warteten nicht lange auf offizielle
Hilfsprogramme, sondern verkauften ihr Hab und Gut in Usbekistan und kamen
auf die Krim. Bis 1996 kehrten 250.000 Krimtataren zurück, weitere 250.000
leben noch im Exil, planen aber ihre Rückkehr auf die Krim.
Niemand bestritt das Recht der Krimtataren, in die Heimat zurückzukehren,
weder Rußland, noch die Ukraine, noch die Administration der Krim,
aber auch niemand war in der Lage, ihre Neuansiedlung finanziell zu
unterstützen. Daher sahen und sehen sich die Krimtataren mit enormen
Schwierigkeiten konfrontiert.
Die Krim ist praktisch nicht in der Lage, sie unter menschenwürdigen
Umständen aufzunehmen. Ihre Massen-Rückkehr führt daher zu
großen Problemen auf der Krim, zu deren Lösung die Vereinten Nationen
und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)
beitragen wollen, auf deren Missionen ich noch eingehen werde.
Mit ihrer Rückkehr erheben die Krimtataren gleichzeitig auch politische
Forderungen. Sie betrachten sich als indigenes Volk der Krim, Russen und
Ukrainer jedoch als Usurpatoren. Deren Heimat läge in anderen Ländern,
in die sie jederzeit zurückkehren könnten. Das Fernziel der Krimtataren
ist daher eine Nationale Krimtatarische Republik Krim.
Mit dieser Forderung befinden sie sich im unlösbaren Gegensatz zur
russisch-dominierten Führung auf der Halbinsel, die eine
größtmögliche Autonomie von der Ukraine anstrebt. Daher gingen
die Krimtataren eine taktische Allianz mit der Regierung in Kiew ein, die
sich gegen die Krimrussen wendet.
Das repräsentative Organ der Krimtataren, ihr Parlament, ist der Kurultai.
Er wurde 1991 zum ersten Mal seit 1918 wieder gewählt. Seine 262 Delegierten
betrachten sich nicht als Interessenvertreter der Tataren auf der Krim, sondern
als Volksvertretung für die gesamte Krim. Sie rivalisieren damit mit
dem Krim-Parlament.
Der Kurultai bestimmte eine Staatsflagge und eine Hymne für die
krimtatarische Nation. Außerdem wählte er ein 33köpfiges
Präsidium, den Medschlis, der die Geschäfte zwischen den Versammlungen
des Kurultais (etwa alle zwei Jahre) führt. Lokale Mini-Medschlisse
bildeten sich seitdem überall auf der Krim.
Zum Präsidenten des Medschlis wurde 1991 und 1996 Mustafa Cemiloglu
gewählt (Er bevorzugt diese Schreibweise seines Namens statt der oft
benutzten Dzhemilev oder Jemilev.). Er war einer der aktivsten Dissidenten
der SU und verbrachte viele Jahre in Gefängnissen. 1969 gründete
er mit Andrej Saccharow und anderen die Initiative zur Verteidigung der
Menschenrechte in der UdSSR. 1974 begann er in Haft einen der längsten
bekannten Hungerstreiks --er dauerte 303 Tage.
Trotz ihrer radikalen Forderungen haben die Krimtataren unter Cemiloglu ein
Auge für das Machbare behalten. So setzte sich der Medschlis vor allem
für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Krimtataren und
für eine Stärkung ihrer Rechte ein. Ein großer Fortschritt
bedeutete die Bereitstellung von 14 der 96 Sitze im Krim-Parlament für
die Krimtataren 1994. Diese Abgeordneten haben seitdem eng mit den Medschlis
zusammengearbeitet.
Nichtsdestotrotz sorgt die krimtatarische Behauptung, ein indigenes Volk
der Krim zu sein und die daraus abgeleitete Forderung nach einer Nationalen
Krimtatarischen Republik weiter für Ärger und Angst unter der
russischen und ukrainischen Bevölkerungsmehrheit. Sollte eine radikale
Fraktion der Krimtataren die Oberhand gewinnen, die dieses Anliegen vorantreibt,
könnte es zu ernsthaften Konflikten auf der Krim kommen.
Ich habe die Krimtataren jedoch als humorvolle und optimistische Menschen
kennengelernt. Trotz der vielen Leiden, die sie in den letzten 50 Jahren
durchlebten, scheint es kaum Haß auf die Russen und Ukrainer zu geben.
Dies läßt auf ein friedliches Zusammenleben der Nationalitäten
auf der Krim hoffen.
Besondere Aufmerksamkeit während meines Aufenthalts auf der Krim schenkte
ich der Situation der deutschen Minderheit auf der Halbinsel. Sie spielt
aufgrund ihrer geringen Stärke von etwa 3000 Seelen kaum mehr eine Rolle
in der Politik der Autonomen Republik. Doch bis zum 2.Weltkrieg hatten die
Deutschen entscheidenden Anteil an der Gestaltung vieler Städte und
Dörfer, und ihre Spuren lassen sich auch heute noch an einigen Orten
finden, wenn auch stark verwischt durch die Zeit des Kommunismus.
Wie in vielen anderen Gebieten Rußlands ließen sich gegen Ende
des 18.Jahrhunderts auch auf der Krim Deutsche nieder. Sie waren der Einladung
der Zarin Katharina der Großen gefolgt, die bekanntlich deutscher Herkunft
war. Die Neuankömmlinge lebten in kompakten Siedlungen und wurden bald
zu erfolgreichen Händlern, Handwerkern und Bauern.
Mit Beginn des 1.Weltkrieges verschlechterte sich ihre Lage, den Deutschen
wurde der Landbesitz verboten. Die Oktoberrevolution und die damit verbundene
Konfrontation mit den feindseligen Bolschewisten und der Zwangskollektivierung
trieb viele Krimdeutsche in die Emigration.
Nichtsdestotrotz betrug ihre Anzahl bei Ausbruch des 2.Weltkrieges noch 51.000
bei einer Gesamtbevölkerung von 1.126.000 auf der Krim. Diese Menschen
wurden, wie fast alle anderen Rußlanddeutschen auch, 1941 vom Diktator
Josef Stalin nach Sibirien und Kasachstan deportiert. Viele überlebten
den Transport und die darauffolgenden Jahre, in denen sie in Organisationen
wie der Trud Armee Dienst leisten mußten (z.B. Holz sägen), nicht.
Unter den Kommunisten war den Krimdeutschen eine Rückkehr in ihre Heimat
untersagt. Erst mit der Perestroika unter Gorbatschow wendete sich das Blatt.
Doch diese Wende kam zu spät, nur wenige Deutsche kehrten auf die Krim
zurück. Die meisten leben heute wohl in Deutschland oder werden über
kurz oder lang dorthin auswandern.
Die aktuelle Situation der Krimdeutschen ist geprägt von den katastrophalen
wirtschaftlichen Verhältnissen auf der Krim. Viele leben unter
erbärmlichen Umständen.
Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Sprachkenntnis dar. Kaum ein Deutscher
der jüngeren Generation beherrscht heute noch diese Sprache. Auch ist
es vielen Menschen unmöglich, sich als Deutsche auszuweisen, da sie
zu Sowjetzeiten aus Angst vor Repressalien die russische Nationalität
in ihren Papieren eintrugen.
Es herrscht die Meinung vor, daß es auch heute noch eine verdeckte
Diskriminierung, z.B. bei der Besetzung offener Stellen, gibt, die jedoch
alle Nationalitäten außer Russen und Ukrainern betreffen soll.
Doch wird von offizieller Seite, besonders vom Krim-Parlament, viel getan,
um den Deutschen als einem der fünf deportierten Völker bei der
Rückkehr zu helfen. Aber die Mittel sind knapp, und so wird auch die
begonnene Errichtung eines deutschen Dorfes wohl kaum zu einer verstärkten
Rückkehr führen.
Trotzdem gibt es die Hoffnung, daß viele Deutsche aus Kasachstan nicht
nach Deutschland, sondern auf die Krim ziehen werden. So sollen dort bereits
7000 Menschen diese Absicht mit ihrer Unterschrift bestätigt haben.
Angesichts der oben beschriebenen Probleme wird sich die Hoffnung jedoch
schon bald als Illusion erweisen, die vor allem von den beiden Organisationen
der deutschen Minderheit, deren Zuwendungen von der Zahl ihrer Mitglieder
abhängen, genährt wurde.
Wiedergeburt und Landsmannschaft
Zusätzlich erschwert wird die Situation der Krimdeutschen durch ihre
Spaltung in zwei verfeindete Organisationen. Im Jahr 1990 hatte sich die
Republikgesellschaft der Krimdeutschen Wiedergeburt gegründet. Ihr Ziel
ist die Wiederbelebung der deutschen Kultur und Traditionen auf der Krim,
sowie die Wahrnehmung der Rechte der Minderheit.
In ihrem Kulturzentrum mit einer kleine angeschlossenen Kirche in Simferopol
organisiert die Wiedergeburt Sprachunterricht und Feiern. Sie betriebt eine
Radio-, Fernseh- und Zeitungsredaktion, die Beiträge für die deutsche
Minderheit gestaltet. Außerdem versucht sie natürlich, den Deutschen
bei der Verbesserung ihrer persönlichen Lebensverhältnisse unter
die Arme zu greifen.
Desweiteren nimmt ihr Vorsitzender, Wladimir Karlowitsch Rempening den den
Krimdeutschen zustehenden Sitz im Krim-Parlament ein.
Mitglied der Wiedergeburt konnten offensichtlich nicht nur Deutsche werden,
sondern auch an der deutschen Kultur Interessierte (heute wird eine etwas
andere Geschichte präsentiert: auch russische ÆHelfer" würden
hinzugezogen).
Darüber entbrannte 1994 ein Streit im Vorstand, der schließlich
im April 1995 zur Spaltung führte. Die neu gegründete Landsmannschaft
der vertriebenen Krimdeutschen unter ihrem Vorsitzenden Julius Miller nimmt
nun also nur Deutsche auf, die ihre Nationalität auch mit Papieren
nachweisen können, bei denen sie also im Paß steht.
Die Ziele und Aufgaben der Landsmannschaft decken sich mit denen der
Wiedergeburt, nur soll alles besser gemacht werden, da die Wiedergeburt in
den letzten Jahren nichts für die Deutschen getan habe.
Der Streit ist inzwischen leider auf ein sehr niedriges Niveau gesunken,
wobei sich die Landsmannschaft besonders durch Angriffe auf die Person des
Wiedergeburt-Vorsitzenden Rempening hervortut, der weiterhin im Krim-Parlament
sitzt. Er habe sich persönlich bereichert und sei Offizier des KGB gewesen,
habe daher auch nur einen Ausweis der Militärkräfte. Weiterhin
sei er kein Deutscher, sondern Holländer(!) und da er kein Lutheraner,
sondern ein Mennonit sei, könne man mit ihm keine Verträge
schließen. Natürlich wurde er auch nicht in die Landsmannschaft
aufgenommen, als er dies versuchte.
Die für die Krimdeutschen bestimmten Gelder der Simferopoler Regierung
werden mittlerweile zwischen den Organisationen aufgeteilt. Von der deutschen
Regierung wird keine der Seiten unterstützt, und deutsche Diplomaten
haben zu verstehen gegeben, daß es nicht dazu kommen wird, solange
die Spaltung anhält. Es bleibt also zu hoffen, daß sich die
Streithähne aufgrund dieser Haltung - denn auf Geld sind sie alle aus
- irgendwann wieder zusammenraufen. Die Bereitschaft dazu haben mir beide
versichert, allerdings will die Landsmannschaft nicht mit Rempening verhandeln.
Neben der weltlichen Spaltung der Krimdeutschen vollzog sich 1995 auch ihre
kirchliche Spaltung. Ihr fiel der deutsche Pastor Friedrich Gödeking
zum Opfer. Er war 1994 aus Heidelberg auf die Krim gekommen, und hatte mit
viel Einsatz deutsche Gemeinden auf der Halbinsel wiederbelebt. Er organisierte
humanitäre Hilfe aus Deutschland - ein Glücksfall für die
Krimdeutschen.
Doch nach Darstellung der Landsmannschaft waren viele Kirchenbesucher nicht
zufrieden mit seiner Arbeit, so habe er z.B. die Leute nicht ausreichend
unterrichtet, bevor er sie konfirmierte. Darum sei er von der Synode in
Deutschland entlassen worden.
Gödekings Version klingt anders. Er hatte in seiner Gemeinde arisches
und antisemitisches Gedankengut festgestellt. So sei es zu Auseinandersetzungen
gekommen, weil Menschen mit jüdischen Vorfahren der deutschen Gemeinde
angehörten.
Als schließlich Vertreter der Landsmannschaft hinter seinem Rücken
ein Kirchenfest organisiert hätten, um an staatliche Fördergelder
zu kommen, habe er Öffentlichkeit hergestellt und sich geweigert, die
Predigt dort zu halten. Auch der angereiste deutsche Botschafter in der Ukraine,
Arnot, habe die Veranstaltung spontan abgesagt. Damit war Gödeking bei
der Landsmannschaft in Ungnade gefallen.
Sie schaffte es offensichtlich, einen Beamten der Krim-Regierung zu bestechen,
der den Pastor in die Mangel nahm. Er schloß seinen Paß weg,
verhörte ihn stundenlang und wollte ihn dazu zwingen, ein Papier zu
unterschreiben, auf dem stand, er habe Verbrechen begangen. Der Pastor bekam
es mit der Angst zu tun, denn er sah sich mit der sofortigen Ausweisung
konfrontiert (er ist glücklich mit einer Russin verheiratet).
Der deutsche Botschafter kümmerte sich drei Wochen lang jeden Tag um
seinen Fall, wurde bei mehreren Ministerien in Kiew vorstellig und verhinderte
schließlich Gödekings Abschiebung. Als dieser kurz darauf nach
Deutschland reiste, schaffte es die Landsmannschaft, die Kirchenleitung in
Odessa - zuständig für die Südukraine - dahingehend zu
beeinflussen, daß sie Gödeking entließ.
Da Gödekings Arbeitgeber die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD)
war, mußte sie die endgültige Entscheidung über die Entlassung
treffen. Er kämpfte fast ein Jahr dagegen an und bekam dabei
Unterstützung von Botschafter Arnot, der Heidelberger
Oberbürgermeisterin und natürlich seinen Gemeinden auf der Krim.
Das oberste Gremium der EKD befaßte sich dreimal mit seinem Fall -
und versetzte ihn in den vorzeitigen Ruhestand.
Hier liegt die wirkliche Tragweite des Falles Gödeking, in der schreienden
Ungerechtigkeit, die ihm durch die EKD widerfahren ist, eine Institution,
die für sich oft moralische Größe in Anspruch nimmt. Durch
sein faktisches Berufsverbot ist den deutschen Gemeinden auf der Krim
irreparabler Schaden entstanden. Viele der Gläubigen können die
Entscheidung nicht begreifen, sie bitten ihn, doch wieder die Predigt zu
halten, denn einen neuen Pastor aus Deutschland gibt es nicht.
Gödeking selbst hat mehrfach in Erwägung gezogen, diesen unglaublichen
Vorgang an die deutschen Medien zu bringen, doch möchte er, daß
ein Journalist selbständig recherchiert. Es bleibt also abzuwarten,
ob sein Fall noch einmal Wellen schlagen wird, und damit auch die Situation
der Krimdeutschen ins Licht der Öffentlichkeit geraten wird.
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