Nur noch selten steht heute ein Tramper am Straßenrand. Und wenn doch einer an der Autobahnauffahrt wartet, dann schaut womöglich ein Kind aus einem vorbeifahrenden Wagen und wundert sich, was der wohl will. Vater schweigt. "Das ist einer, der kein Geld hat", sagt Mutter. Ein Essay zum Abschied von einer literarisch beglaubigten Reiseform nebst einiger Portraits, eingefangen in Berlin-Dreilinden
von BJÖRN KERN (22,
Hospitant im taz.mag, studiert in Tübingen und Aix-en-Provence Literatur
und Romanistik. Im kommenden Jahr erscheint sein erster Roman bei
Hanser/dtv. Dreimal hat er selbst den Daumen ausgestreckt, vorwiegend in
der Provence. Jack Kerouacs schon in den Fünfzigerjahren verfasster
Roman "Unterwegs" (Rowohlt, Reinbek 2000, 380 Seiten, 16,90 Mark) inspirierte
ihn zu dieser Geschichte über das Trampen); taz Magazin Nr. 6235 vom
2.9.2000 Seite I
Es halten viel weniger an,
als noch vor zwei Jahren. Letztens bin ich aber nur zehn Minuten gestanden,
und schon hielt einer an. So ein Türkenpapa mit einer total kitschigen
Plastikdekoration vorne in seinem Auto. Der ist die ganze Zeit 180 gefahren,
bis München durch. Und ununterbrochen lief türkische Folklore.
Der meinte so: Wenn du wieder in Berlin bist, schauste mal in meinem Restaurant
vorbei. Das war dann eine Dönerbude, und jetzt komm ich eben mal vorbei,
sag hallo und ess meinen Döner.
Klar gibt es auch Idioten
auf der Straße, aber mit denen fährt man ja nicht mit. Keine
Ahnung, ob ich mich zur Tramperkultur zählen kann, falls es überhaupt
noch eine gibt. Wenn mir jemand sagen würde: Was bist du für
n Hippie, der da rumtrampt, das ist doch total out - dann wär ich
echt sauer.
Einmal bin ich von Nürnberg
aus mit einem mit, der war ganz witzig. Das war eben so n richtiger Hippie
- hatte mit Hanfsamen sein Geschäft gemacht und dabei das große
Los gezogen. Der ist in einem Auto gefahren, das ein Höllengeld gekostet
hat, und dann wollte er mir irgendwelche Tramperideologien erzählen.
Albern. Dieses Zeugs aus den Siebzigern, das ist nichts, womit ich mich
identifizieren würde. Diese Zeit interessiert mich absolut nicht!
Sicher trampen viele, um Leute
kennenzulernen oder durchs Land zu kommen. Aber dafür nehm ich lieber
das Rad. Trotzdem kann man beim Trampen Urlaub machen. Demnächst tramp
ich nach Prag: Irgendwann werde ich sogar ankommen - aber was unterwegs
passiert, weiß ich nicht.
Katja Bicker:
Es gibt überall Idioten
Ich steh schon über
eine Stunde hier an der Leitplanke, und jetzt kommt auch noch die Polizei.
Verdammt! Die bleiben bestimmt ne halbe Stunde und schikanieren. Im Durchschnitt
stehe ich nur dreißig Minuten. Es wollen so viele aus Berlin in den
Ruhrpott, und normalerweise kriege ich immer einen Lift direkt bis Bielefeld.
Bevor ich einsteige, schau ich mir die Leute schon an - klar. Ich schlag auch mal ein Angebot aus, wenn ich ein ungutes Gefühl habe. Die Leute akzeptieren das dann auch. Nur einmal hab ich Pech gehabt. Da war ich mit nem Mann unterwegs, und der wollte am Ende dann wissen, was er jetzt kriegt fürs Mitnehmen. Dann fragt man sich, o Gott, wie weit geht der jetzt? Macht der sich nur über einen lustig?
Richtig üble Erfahrungen hatte ich aber noch nie. Eher schon bei Fahrten, die eine Mitfahrzentrale vermittelt hat. Da meinen oft solche Rasertypen, sie müssten mal zeigen, was in ihrem Auto steckt. Nach Bielefeld zahl ich inzwischen an die vierzig Mark - eine Fahrt. Da ist die Bahn bald billiger als die Mitfahrzentrale.
Wenn ich mehr Geld hätte, würd ichs mir auch gerne sparen, das Trampen. So toll ist das nicht. Sobald ich mal nen Job hab, ists dann auch gut. Hippiekultur und so - wo soll denn das noch vorhanden sein? Ich steig meistens bei irgendwelchen Geschäftsleuten ein. Die findens spannend, noch mal ne junge Frau im Auto zu haben.
Aber Hippietum ist für mich was anderes. Trampen ist doch keine Alternative zum Spießeralltag! Ich würde nie zum Spaß trampen. Dafür ist es irgendwie zu anstrengend. Man muss den Leuten immer was dafür bieten, wenn man einsteigt. Man kann sich ja nicht auf stur stellen und durch die Gegend kutschieren lassen. Die Leute erwarten ja, dass man richtig was erzählt oder wenigstens zuhört.
Kann aber immer vorkommen, dass dich deine Menschenkenntnis verlässt. Einem Kollegen von meinem Vater ist das passiert: Der hat ne Tramperin mitgenommen, die hat ihn dann angezeigt wegen Vergewaltigung. Dabei war da nichts. Es gibt überall Idioten, auf beiden Seiten.
In Holland ist Trampen überhaupt kein Thema: Da wird man sofort mitgenommen. Die bringen einen sogar mal wohin, wo sie selber gar nicht hinmüssen! Bei uns ist Trampen dagegen überhaupt nicht akzeptiert. Hier sind die Leute alle viel mehr busy und so.
Georg Schmitz:
Bisschen wie Woodstock
Ende der Siebzigerjahre war
ich öfter als Tramper unterwegs. Da gab es die so genannte Rotpunktbewegung:
Die hatte zunächst ein politisches Anliegen, weil die Fahrpreise beim
öffentlichen Nahverkehr drastisch erhöht worden waren. Die roten
Punkte wurden dann an Autofahrer verteilt, die bereit waren, Tramper mitzunehmen.
In Aachen und Hannover beispielsweise weiteten sich diese Aktionen zu richtigen
Streiks aus. Aber auch damals war es schon sehr anstrengend zu trampen.
Es hängt eben sehr von der Tagesverfassung der Fahrer ab, wie leicht man vorankommt - damals wie heute. Nostalgisch sehe ich wirklich nicht auf die Siebzigerjahre zurück. Für mich ist und bleibt das Trampen eine Zwecksache: Man will eben von Punkt A nach B - und fertig. Klar, es war schon eine schöne Zeit damals. Aber deswegen überhöhe ich sie nicht zum Kult.
Für viele ist Trampen ja ein bisschen wie Woodstock. Die Leute kriegen leicht feuchte Augenwinkel, wenn sie davon sprechen. Manchen war dieses Leben ein Familienersatz. Zu Hause klappte es nicht mehr so recht, das war bei mir ganz ähnlich. Die Alten meckerten nur: Pass auf dich auf, und komm nicht auf die falsche Bahn. Da flüchtete man eben auf die Straße und sang revolutionäre Parolen.
Natürlich konnte man auch gut Mädchen kennen lernen beim Trampen. Das ist ein bisschen wie heute auf der Uni. Bei vier Mark, die in Berlin die Einzelfahrt bei der BVG kostet, ist heute wieder ein Limit erreicht. Aber die Leute denken gar nicht daran, so etwas wie eine Rotpunktaktion erneut zu starten. Stattdessen akzeptieren sie stillschweigend jede neue Fahrpreiserhöhung. Oder sie entladen ihre Wut an den Fahrern.
Es wäre schon zu begrüßen, wenn das Trampen wieder ein bisschen aufleben würde. Dann kämen die Autofahrer mal mit anderen Leuten zusammen. Das tut denen ganz gut. Auch aus ökologischer Sicht wäre es natürlich erfreulich.
Ist ja völlig absurd, wie die Leute heute zur Arbeit fahren, jeder allein in seinem Wagen. Da wird sich erst dann was tun, wenn der Staat Anreize schafft. Man müsste solche Fahrgemeinschaften steuerlich begünstigen. Da reicht es nicht, moralische Grundsätze zu predigen. Von hundert hören da vielleicht zwei drauf. Wenn es aber mehr Geld gibt, hören von hundert plötzlich fünfzig!
Przemyslaw
Wegielek: Ich hoffe auf mein Glück
Wie soll ich ein Zugticket
nach Holland bezahlen! Ich möchte so gerne nach Amsterdam. Wenn ich
könnte, würde ich hinfliegen, das ist klar. Aber auf der Straße
ist es auch ganz lustig. Man trifft viele Leute - aus allen Ländern.
Die Sprache macht aber echte Probleme: Ich spreche kein Deutsch. Kein Wort.
Na ja, ich kann "egal" sagen oder "Autobahn" - solche Wörter eben.
Deutsche Autofahrer sind alle recht ähnlich: Viele von ihnen rauchen
Haschisch, während sie fahren. Das macht Spaß! In Polen ist
das nicht so. Ob ich später mal aufhöre mit dem Trampen, weiß
ich noch nicht. Falls ich mal richtig Geld verdiene, trampe ich vielleicht
trotzdem weiter. Aber wenn dann keiner anhält, nehme ich einfach den
Bus oder den Zug! Wenn heute keiner hält, kann ich mir das nicht leisten.
Dann schlafe ich gleich hier, hinter der Bushaltestelle. Ich plane meine
Trips überhaupt nicht: Ich gehe einfach aus dem Haus, ohne Karte,
und frage die Leute nach dem Weg. Und hoffe auf mein Glück.
In Polen zeigen Presse und Fernsehen immer nur die schlechten Seiten vom Trampen. Irgendwelche Überfälle, wo der Tramper den Fahrer tötet und sein Auto stiehlt. Männer werden da nicht so leicht mitgenommen. Einmal, vor vier Jahren, wollte ein Fahrer Geld von mir. Das war in Polen - schon eine dumme Sache. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm nichts zahlen werde. Da wollte er mich schlagen, aber zum Glück bin ich dafür zu groß. Ich sagte ihm einfach, er soll sich verpissen und das hat er dann auch getan! Ich wollte ihm noch erklären: Wenn ich Geld hätte, müsste ich ja nicht trampen gehen. Und wenn ich nun trampen gehe, habe ich also kein Geld - das müsste doch zu verstehen sein!
Ich trampe eigentlich nur im Urlaub, um andere Länder zu sehen. In Polen nehme ich auch den Bus oder den Zug, weil die öffentlichen Verkehrsmittel dort weniger kosten. Viel weniger! Ich wohne etwa 250 Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze entfernt, mitten in Polen. Und für diese Strecke habe ich umgerechnet neun Mark gezahlt. Die gleiche Entfernung hier würde vielleicht sechzig Mark kosten. Ich war schon fast in ganz Europa, auch im Süden. Bis Spanien dauerte es nur drei oder vier Tage. Und dann wartete Barcelona auf mich.
Zitate: Tramper,
Trotter und Traveller
"Ein Globetrotter, nicht
nur der heutige, ist immer unterwegs, auch wenn er daheim ist. Zu diesem
Lebensgefühl gehört die Lust aufzubrechen, der Mut Unbekanntem
zu begegnen, Risiken einzugehen, das Bedürfnis nach authentischer
Erfahrung, Neugier ebenso wie die Fähigkeit, das Schöne in der
Welt zu entdecken."
Norbert Lüdtke, Deutsche
Zentrale für Globetrotter
"Man kann sagen, dass das
flexible Hantieren mit Identität die zentrale Voraussetzung für
das Trampen ist. Eine Generation, die vor sich hinsummt "Ich will so bleiben,
wie ich bin", hat danach kein Bedürfnis."
Florian Illies ("Generation
Golf"), FAZ
"Später einmal, in fünfzehn
Jahren etwa, wird das Anhalten ein Vergnügen sein. Dann werden alle
die am Steuer sitzen, die jetzt vom Straßenrande aus durch Deutschland
fahren. Sie werden sich ihrer Jugendwanderungen erinnern, bremsend den
Schlag öffnen: ,Hinein mit Ihnen - wohin solls denn gehen?'"
Barbara Klamroth, 22.
Juni 1950, "Die Zeit"
"Er fragte sie, ob denn die
Fahrer, die sie mitgenommen hatten, so unangenehm gewesen seien, dass sie
von einer Zumutung spreche. Sie antwortete (unbeholfen kokett), sie seien
manchmal sogar sehr angenehm gewesen."
Milan Kundera: Fingierter
Autostopp, in: "Das Buch der lächerlichen Liebe". Frankfurt am Main
1999, Fischer TB
"Eine so unsägliche Stelle
zum Trampen erlebte ich zum erstenmal. Und das nur wegen eines neurotischen
Pärchens, das behauptet hat, ich würde ,stinken'. Bei der ersten
Gelegenheit haben sie mich rausgeworfen."
Jakob Arjouni: "Ein Freund".
Geschichten. Zürich 1999, Diogenes
",Nach Norden?' fragte Sissy.
Aber ihr wäre auch jede andere Richtung recht gewesen. ,Darauf kannst
du deinen strammen Arsch wetten', meinte der Fahrer mit sardonischem Grinsen,
und es war schwer auszumachen, was er mehr hatte: Saxophone im Fond oder
Goldzähne im Mund. Sissy zögerte. ;Was habe ich schon zu verlieren?'
- Sie stieg ein."
Tom Robbins: "Sissy. Schicksalsjahre
einer Tramperin". Reinbek 1994, Rowohlt
"Wir hielten die Arme abgewinkelt
vom Körper, die Daumen senkrecht. Je länger keiner anhielt, desto
länger streckten wir die Arme aus, desto höher zogen wir die
Röcke. Wir probierten es mit zwei Fingern oder mit einem, mit Peace
oder Fuck, wenn nichts half auch mit dreien: schwören fiel uns schwer."
Alissa Walser: "Die Lust
der Gans beim Gestopftwerden". In: "Die kleinere Hälfte der Welt".
Reinbek 2000, Rowohlt
Deutschlands Jugendliche werden,
statistisch gesehen, immer reicher. 1984 verfügte nur ein Viertel
der 15- bis 24-jährigen Männer und Frauen über 1.000 Mark
monatlich. 1991 waren es bereits 36 Prozent; 1999 verfügten 43 Prozent
monatlich über diesen Betrag.
Und tatsächlich: Die
Autodichte steigt und steigt. 1970 zählte das Statitische Bundesamt
nur 228 "motorisierte Fahrzeuge" pro 1.000 Einwohner. 1980 waren es bereits
476, und 1999 wurde die beängstigende Zahl von 617 Fahrzeugen pro
1.000 Einwohner registriert. Deutschland hat damit die höchste Autodichte
der Welt.